Rückblick 29. Jazzfest Kassel vom 12. bis 18. Oktober 2021

Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden, Unterstützern und unserem Publikum für das gelungene Jazzfest 2021.

  • Dienstag, 12.10.2021
    29. Jazzfest Kassel / Kulturzentrum Schlachthof: Olivia Trummer
    Neben Eigenkompositionen waren einige ihrer Lieblingssongs von Großmeistern wie George Gershwin oder Burt Bacharach zu hören.
  • Mittwoch, 13.10.2021
    29. Jazzfest Kassel: Philipp van Endert „Cartouche“
    Zeitlose Jazzkompositionen in einer außergewöhnlichen Besetzung mit einem sehr intimen und kammermusikalischem Sound.
  • Freitag, 15.10.2021,
    29. Jazzfest Kassel: Hohmann/Mayrhofer Duo / Masha Bijlsma Band
    Der Festivalabend würdigte zwei Größen des Jazz mit dem Tribute an den Jazzbassisten Charlie Haden und der Hommage an die Jazzsängerin Abbey Lincoln.
  • Samstag, 16.10.2021
    29. Jazzfest Kassel / Shelter Sounds: Bernhard Mergner Quintett
    Eigenkompositionen, klassische Jazzstandards und bekannte lyrische Melodien der latein-amerikanischen Musik.
  • Sonntag, 17.10.2021
    29. Jazzfest Kassel: Workshopkonzert
    Einem Mikrokonzert der Dozenten folgte ein gemeinsamer Auftritt mit den Teilnehmern des Workshops.
  • Montag, 18.10.2021
    29. Jazzfest Kassel / beuyslaborkassel2021: HONEY BUNNY - A hommage to Joseph Beuys
    Künstlerinnen und Künstler setzten sich musikalisch, bildlich, installativ und sprachlich mit dem Werk des Künstlers Joseph Beuys auseinander.
  • Montag, 18.10.2021
    29. Jazzfest Kassel / Theaterstübchen: Emil Brandqvist Trio
    Vertrackte Rhythmen, kompromissloses Schlagzeugspiel und atmosphärische Harmonien erweiterten mit überraschenden Wendungen das Piano Trio Genre.

Einen guten Rückblick auf die Konzerte bieten die Kritiken der HNA Kassel:

Für die Seele – Olivia Trummer eröffnete das Jazzfest

Die Einsamkeit eines Konzertflügels: Olivia Trummer beim Auftritt im Kulturzentrum Schlachthof. Foto: Pia Malmus

Kassel – Zum ersten Mal eröffnete der Kasseler Jazzverein sein alljährlich stattfindendes Festival in den schmucken Räumlichkeiten des Kulturzentrum Schlachthof. Trotz limitierter Zuschauerzahl war die Atmosphäre wie gemalt für die Pianistin und Sängerin Olivia Trummer, die man als Protagonistin des Abends engagiert hatte.
Es war die majestätische Einsamkeit des Konzertflügels, die im warmen Scheinwerferlicht der Bühne nach einer Liebhaberin verlangte. Dazu war die Absolventin der Manhattan School of Music aus Stuttgart gerne bereit und bot sowohl schöngeistige Virtuosität wie auch exquisite Musikalität. Dabei verfügt sie gleich über mehrere Qualitäten, die allesamt von Sensibilität und Originalität geprägt sind. Zum Einen ihre perkussive Präzision, die bei Interpretationen von „Get Here“ (Oletta Adams) und „The Nearness Of You“ (Hoagy Carmichael), oder eigenen Kompositionen wie „Gotta Miss Someone“ ihre Arrangements ergänzt – mit einer faszinierenden Selbstverständlichkeit. Zum Anderen ihre kompositorische Fantasie, klassische Werke in jazzharmonische Lebensräume zu transferieren. Mozarts „Rondo à la turca“ oder Beethovens „Mondscheinsonate“ münden plötzlich in brasilianischer Rhythmik oder puristischer Songästhetik, die von einem Musical-Sound ideenreich flankiert werden.
Künstlerinnen wie Tanja Maria und Flora Purim befinden sich mit Sicherheit in der CD-Sammlung von Olivia Trummer. Da werden Melodietöne vielschichtig verpackt und statt der monotonen Transparenz einer musikalischen Autobahnfahrt widmet sich die Pianistin lieber der üppigen Schönheit der Nebenstraßen.
Nein, Olivia Trummer ist keine Provokateurin, keine Streiterin für eine gesellschaftskritische Künstler-Avantgarde. Ihr Sound spiegelt vielmehr eine Sehnsucht nach Harmonie und Wohlbefinden. Ihr Lächeln und ihre Stimme eskortieren Empathie. Ihre Musik ist Quellwasser für die Seele und dieses Gefühl genossen die Besucher in vollen Zügen. Großer Applaus.

Donnerstag, 14. Oktober 2021, Hessische Allgemeine (Kassel), Text: Andreas Köthe

Hochkomplexe Kniffligkeit mit Jazztrio Cartouche

Kassel – Es gibt Jazzmusik, da merkt man relativ schnell, wie der Hase läuft. Da erfasst man innerhalb kürzester Zeit Rhythmik, Taktmaß und Akkordstruktur und kann sich entspannt zurücklehnen und genießen. Nicht so bei Cartouche. Das Trio um den Gitarristen und Berklee-Absolventen Philipp van Enders appelliert mit seinen Kompositionen eindringlich an die Aufmerksamkeitsspanne seiner Konzertbesucher.
Denn was die drei Akteure auf den Weg bringen, ist alles andere alles leichte Kost. So auch am Mittwochabend im gut besuchten Tif. Die Freude über die Möglichkeit, wieder auftreten zu können, ist momentan die moderierte Standard-Eröffnung jedes Künstlers, der eine Bühne betritt. Und man sieht ihnen die Begeisterung darüber auch wirklich an.
Der Paradigmenwandel in der Jazzmusik ist mittlerweile bei einer hochkomplexen Kniffligkeit angekommen und man forscht sich mittels facettenreicher Arrangements durch ein schier unerschöpfliches Sortiment an Möglichkeiten. Gleich beim Eröffnungsstück „Cartouche“ finden sich romantische Akkordfolge und pirouttenhafte Melodielinie zu einem innigen Verhältnis und lassen während der Solopassagen der Fantasie freien Lauf.
Souverän erledigt Kontrabassist André Nenzda seinen Job am Kompass der Band und brilliert mit perkussivem Spiel und poetischen Monologen. Manchmal wirken Ton und Ansatz von Trompeter Christian Kappe etwas brüchig, doch der Zerbrechlichkeit folgt Unwiderstehlichkeit und auch er liefert famose Momente.
Van Enders gebührt nicht nur wegen seinen exquisiten Kompositionen höchster Respekt, er vermittelt auch eine innige Verbundenheit zu dem Klang und den Optionen seiner Gitarre, die er, virtuos gespielt, mit geschmackvollen Effekten unterlegt. Großer Applaus.

Freitag, 15. Oktober 2021, Hessische Allgemeine (Kassel), Text: Andreas Köthe

Pure Lust beim Jazzfest im Schauspielhaus

Kassel – Wenn Jazzmusiker in einem Theater oder einem Konzertsaal auftreten dürfen, gilt das als Ritterschlag ihrer Karriere. Dass dies der Rassismus und die Arroganz einer weißen Kulturelite in den USA jahrzehntelang zu verhindern wussten, darauf verwies die Vorstandssprecherin des Kasseler Jazzvereins, Susanne Herrmann, bei ihrer musikphilosophischen Anmoderation am Freitagabend im Kasseler Schauspielhaus.

Rassismus musste auch die US-amerikanische Jazzsängerin Abbey Lincoln (1930 – 2010) erfahren, und ihre Songtexte hatten oft einen politischen Bezug. Dass ihr die niederländische Sängerin Masha Bijlsma ein Tribute widmet, ist der gemeinsam empfundenen Empathie und ihrer Freundschaft geschuldet. Als Höhepunkt des diesjährigen Kasseler Jazzfestes angekündigt, lieferten Bijlsma und ihr Quintett ein entfesseltes Konzert vor gut besuchtem Haus.
Schon der kraftvolle Einstieg, bei dem sie sich alleine von Schlagzeuger Dries Bijlsma begleiten ließ, offenbarte die pure Lust am Geschehen. Es folgten 70 Minuten Powerjazz im Stile der John-Coltrane-Ära, mit allen Zutaten, die die Herzen der anwesenden „Sheets of sound”-Gourmets höher schlagen ließ.
Tenorsaxofonist Paul Heller sorgte dabei für den Klang der aktuellen Avantgarde, während Bart van Lier (Posaune) und Dries Bijlsma konventionelle Feinkost lieferten. Bei „Talking To The Sun” zeigte sich Pianist Hans Kwakkernaat von seiner besten Seite und Ruud Ouwehand am Kontrabass hielt den Laden souverän zusammen.
Dann verließ die Band die Bühne und Bijlsma widmete ein berührendes „Thrown It Away” ihrem am Morgen verstorbenen Schwiegervater. Mit „Africa” (John Coltrane) endete unter großem Beifall des Publikums das grandiose Konzert.

Eröffnet hatte den Abend das Duo Luca Hohmann (Piano) und Berthold Mayrhofer (Kontrabass). Präsentiert wurde ein motivierter Versuch, Kompositionen des Kontrabassisten Charlie Haden (1937 – 2014) kreativ auszuleuchten.

Montag, 18. Oktober 2021, Hessische Allgemeine (Kassel), Text: Andreas Köthe

Überwältigende Hommage an Joseph Beuys

Kassel – 100 Jahre Joseph Beuys – das 29. Jazzfest und Joshua Weitzel nahmen das am Montag im Dock 4 zum Anlass für einen informativen wie bombastischen Abend. Zunächst referierte Kunsthistoriker Harald Kimpel in zehn Minuten prägnant über 50 Jahre Beuys auf der documenta. Wie der Künstler von der Vitrine zur Sozialen Plastik findet, durch die „Bienenkönigin“ aus Wachs Kommentare zum Kollektiv abgibt und im Einbinden des Publikums provokativ mit Machtstrukturen spielt. Die „7000 Eichen“ greifen völlig in den Lebensraum des Publikums ein.
Die „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ wird zur Sozialplastik, der Honig selbst Energieträger. Beuys boxt für die direkte Demokratie. Aus der Zarenkrone formt er einen Friedenshasen. Kritiker werfen ihm indes die Hitlerjugend und den Wehrmachtfunker vor.
Die Künstler um Weitzel suchen mit ihrer eigenen Arbeit Zugänge zu Beuys’ Symbolik, die sie kommunizieren wollen. Imposant sind die digitalen Malereien von Claudia Schmitz und Projektionen von Mazen Kerbaj. Schmitz kalligrafiert auf Schallplattentellern Referenzen an die geschwungene, fließende Handschrift des Künstlers.
Sie schickt nebulöse Bilder über welliges Papier. Kerbaj projiziert Gläser, Rotoren, Mini-Becken, Stimmverfremder sowie einen Abfluss an die Wand für außergewöhnliche Bild- und Klangeffekte. Christian Reiner sinniert, gurgelt, schreit genial über Funk- und Krachgeräusche die Beuys’schen Exzesse, Zitate oder dadaistischen Poesien vom Hirschröhren bis zum Hasen, der eigentlich ein Schwein ist.
Das Beklemmende des Künstlers kommt zur Geltung durch Rieko Okudas metallisches Zupfen der Pianosaiten als auch das Schlagen der Bratsche. Kerbaj und Matthias Muche dröhnen und blubbern mit Wasser und Posaune. Nicola Hein und Weitzel pusten und spielen Gitarren und Shamisen zwischen Melancholie und Raumklang. Überwältigter Applaus.

Mittwoch, 20. Oktober 2021, Hessische Allgemeine (Kassel), Text: Christian Missler

Raffinierte Ideen – Das Emil Brandqvist Trio im Theaterstübchen

Kassel – Putzigerweise kündigte Theaterstübchen-Chef Markus Knierim die Band als „Emil Brandqvist und seine wunderbaren Begleitmusiker“ an, als handelte es sich um eine Tanzkapelle vom Dorf. Gleichwohl steckte darin ein Körnchen Wahrheit.
Denn obschon es sich beim schwedischen Emil Brandqvist Trio um ein Klaviertrio handelt, das ja in der Regel nach dem Pianisten benannt wird, definiert sich dieses vom Schlagzeuger her. Als solcher ist Brandqvist mehr als „nur“ Begleiter, Takt- und Pulsgeber für das im Mittelpunkt stehende Klavier. Biegsam, geschmeidig, melodiös, kultiviert und voller raffinierter Ideen gestaltet er das Geschehen und treibt es voran. Als Komponist und Arrangeur ist er sowieso Spiritus rector des Trios. Seine „Begleitmusiker“ sind Tuomas Turunen am Klavier und Max Thornberg am Bass.
Das Trio trat vorgestern zum Abschluss des Jazzfests auf, wo es seine fünfte CD, „Entering The Woods“, vorstellte. Man kann schon sagen, dass die Drei mit den Jahren mutiger und experimentierfreudiger geworden sind. Der früher oft gefällige Wohlklang wird bisweilen von einer ausgelassen scheinenden Ruppigkeit und Wildheit aufgebrochen, auch wenn Turunen nach wie vor eine perlende Melodiosität in den hohen Lagen liebt, die manchmal etwas zu nett und eingängig ist. Bei näherem Hinhören sind die Stücke erkennbar ähnlich aufgebaut. Sie beginnen oft leise, verhalten mit sanft gestrichenem Besen und zarten Klaviertupfern, sparsam akzentuiert vom Bass Thornbergs. Es steigert sich, schwillt an, wird nervöser und lauter, bis es wieder in geordnete Bahnen zurückfindet und schließlich verebbt oder abrupt endet.
Die drei genießen den Auftritt ebenso wie das Publikum, das zwei Zugaben bekommt: Zunächst ein energetisches Up-Tempo-Stück, gefolgt von einem lyrischen Absacker zum Schluss.

Mittwoch, 20. Oktober 2021, Hessische Allgemeine (Kassel), Text: Andreas Gebhardt

Headerfoto oben: Die Masha Bijsma Band am 15.10. im Schauspielhaus © Martin Deisenroth