Sven Krug

„Mir geht es nicht darum etwas zu komponieren, das nur in meinem Kopf existiert.“

Der Kontrabassist und Komponist Sven Krug hat ein Faible für Literatur und schreibt Musik, die es in sich hat. Seine Schülerinnen und Schüler besucht er mit dem Musiktaxi.

„Down in the Bass - Jazz und Lyrik“ heißt Dein neues Konzertformat, das Du zusammen mit Axel Garbelmann jetzt auf die Bühne gebracht hast. Wie kam es dazu?

Eigentlich ist es aus einer Laune heraus entstanden. Ich hatte schon länger vor, etwas mit Literatur und Musik zu machen. Dafür gibt es auch ein Vorbild: Der amerikanische Kontrabassist Bertram Turetzky hat Schauspieler zu auskomponierten Stücken Texte rezitieren lassen. Ich wollte das Ganze aber interaktiv anlegen und fand in Axel Garbelmann, der sich mit Literatur auskennt, einen idealen Mitspieler. Er hatte mich beim „Cold Reading“ im Schlachthof beeindruckt und ich lernte ihn 2019 zufällig kennen. Danach ging alles relativ schnell. Wir probierten einiges aus und im Frühjahr 2020 präsentierten wir unser erstes Programm als Onlinestream aus dem Literaturhaus.

Im Gegensatz zu Deinen früheren Kompositionen, die sich an literarischen Vorlagen orientieren, sind Sprache und Musik in diesem Format gleichwertig. So prägnant wie Axel Garbelmann rezitiert, gibt Sprache sogar den Ton an. Was bedeutet das für die Komposition bzw. die Improvisation?

Ich suche immer den Approach, der dem Gedicht gerecht wird. Bei Langston Hughes und Bob Kaufman, zwei afro-amerikanischen Dichtern, die der Bürgerrechtsbewegung nahestanden, war es einfach. Ich fand eine musikalische Linie nah an Blues und Gospel. Das lässt sich mit einem rhythmischen Ostinato gut umsetzen. Bei Peter Rühmkorf und Safiye Can, deren Gedichte ich vorher nicht kannte, musste ich mir etwas einfallen lassen. Wichtig ist, dass mir die Gedichte gefallen, dass sie mir etwas sagen. Beim Komponieren bleibe ich offen, versuche Neues auszuprobieren. Bei diesem Konzert gab es eine kleine Premiere: Ich habe zum ersten Mal Doppel-Flageolett gespielt. Das ist eine Technik aus der Neuen Musik, mit der man über alle vier Saiten gleichzeitig spielen kann. Das habe ich bei Sebastian Gramss, der das meisterlich beherrscht, gelernt. In einer Band kann man das nicht machen, hier passte es. Es kommt immer darauf an, die zum jeweiligen Gedicht stimmige Gangart zu finden.

Das ist Dir in jedem Fall gelungen. Wir hörten neben jazzigen Phrasen Rock Grooves, arabische Lautentöne, sphärische Klänge und viele variable Rhythmen sowie dynamische Akzente, die den Textinhalt aufnahmen, im Grunde eine filmmusikalische Bearbeitung.

Ich würde wahnsinnig gerne Filmmusik schreiben und ich habe dafür auch ein großes Vorbild: Krzysztof Komeda, ein polnischer Jazzmusiker und Komponist, der leider viel zu früh gestorben ist. Er hat viele tolle Filmmusiken geschrieben, u.a. für Roman Polanski. Auf der Platte „Dichtung und Jazz“ sind von ihm vertonte Gedichte zu hören. Es gibt also für solche Kompositionen, wie ich sie jetzt versucht habe, sehr gute Beispiele.

In den Kompositionen, die Du für Deine Bands geschrieben hast, lässt Du den anderen Musikern immer viel Raum. Von welchen Ideen lässt Du Dich leiten?

Auch hier habe ich Vorbilder, an denen ich mich orientieren kann. Bei Erik Satie, dessen Musik ja auch in vielen Filmen zu hören ist, ist es die minimalistische, auf das Wesentliche konzentrierte Herangehensweise. Dadurch können viele Ideen, die mir durch den Kopf gehen, zum Ausgangspunkt einer Komposition werden. Musikalisch bewege ich mich in der Dualität zwischen Tradition und Moderne, versuche möglichst offen zu bleiben. Bei den Jazzgrößen Charles Mingus und Duke Ellington konnten sich ganz verschiedene Musiker einklinken. Das möchte ich auch. Als Band ist das „Art Ensemble of Chicago“ wegweisend für mich. Mir geht es nicht darum etwas zu schreiben, das nur in meinem Kopf existiert, die Musiker müssen sich mit meinen Kompositionen wohlfühlen, nur dann können sie sich in den freien Teilen entfalten.

Womit kämpft der Komponist am meisten?

Die meiste Zeit sitzt man da und es passiert gar nichts. Die Inspiration kommt bei der Arbeit. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man weiß, wie es weitergeht. Es ist, als wäre man in einem Raum mit vielen Türen; man muss lange anklopfen, bevor sich eine Tür öffnet.

Gibt es eine ideale Umgebung, in der sich Türen schneller öffnen?

Das ist immer noch der alte Keller bei meinen Eltern. Da liegt viel herum, was mich inspiriert und das Schlimmste wäre es, wenn jemand den Raum aufräumen würde. Inzwischen notiere ich meine Ideen aber auch in ein Notizbuch, das ich immer bei mir habe.

Du hast in der letzten Zeit zwei Jazz-Suiten geschrieben, die trotz schwieriger Bedingungen während der Corona-Pandemie aufgeführt werden konnten. In der „Tucholsky Suite“ und der „Lost Innovator Suite“ gibst Du Künstlern, die sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandergesetzt haben, eine Stimme.

Menschen, die sich mit den politischen und sozialen Verhältnissen ihrer Zeit auseinandersetzen, geraten schnell in Vergessenheit. Ihre Ideen sind heute noch aktuell. Das greife ich auf. Während des Lockdowns bekam ich aus verschiedenen Förderprogrammen Stipendien fürs Komponieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber es war ungewiss, ob und wann es überhaupt zu einer Aufführung kommen würde. Wir haben irgendwann Livestreams gespielt. Das war eigenartig, weil ich das Gefühl hatte, mich bei dem, was ich tue, zu beobachten. Ich war gar nicht ich selbst. Als wir wieder live spielen konnten, war ich nervös, was ich normalerweise nicht bin. Meinen Mitmusikern ging es ähnlich. Das Gefühl, wieder von vorne anzufangen, belastete die Proben und wir haben oft emotional überreagiert. Der Lockdown hat im Kopf einiges bewirkt und die Tatsache, als Künstler nicht als „systemrelevant“ zu gelten, schmerzte.

Es ist schon in normalen Zeiten nicht einfach, als freier Musiker zu arbeiten. Wann hast Du Dich dafür entschieden?

Ich bin Einzelkind und war ein Enfant terrible. Ich tauchte bei allen Gelegenheiten mit meiner Gitarre auf und merkte, dass ich mir damit Gehör und Respekt verschaffen konnte. Mein Opa meinte, ich sollte Künstler werden oder zum Varieté gehen. Ich dachte eher daran Kabarettist zu werden. Dann beschloss ich, klassische Gitarre zu studieren und Musiker zu werden. Noten lernte ich erst mit sechzehn Jahren, improvisieren konnte ich von Anfang an gut. „Du kannst eigentlich nur Jazzmusiker werden“, meinte mein Gitarrenlehrer Heinz Kipping. Er hat mich zum Jazz gebracht. Da die meisten Jazzbands eher einen Kontrabassisten als einen Gitarristen brauchen, wurde mir der Kontrabass nahegelegt. Ich kaufte mir Jazzalben, hörte mal bewusst auf den Kontrabass. Paul Chambers, der sowohl bei John Coltranes „Blue Train“ als auch bei Miles Davies‘ „Kind of Blue“ spielt, ist heute noch einer meiner Hereos und nachdem ich Charlie Hadens „The Montreal Tapes“ gehört hatte, wollte ich nur noch Kontrabass spielen. Ich war ziemlich naiv, habe mich zu Aufnahmeprüfungen an verschiedenen Hochschulen beworben, bin in Köln zweimal gescheitert und schließlich in Weimar gelandet.

Du hast den Jazzstudiengang dort aber erfolgreich abgeschlossen.

Ja, aber mir ist alles sehr schwergefallen. Ich hatte große Zweifel, wollte das Studium abbrechen. Die Professoren waren sehr streng. Es gab andererseits aber immer wieder positives Feedback und Menschen, die mich vor dem Scheitern bewahrt haben. Als unser Professor für Rhythmik Jo Thönes, eine Schlagzeug-Ikone, mir nach vielen Misserfolgen sagte, „Ich sehe Licht am Ende eines schwarzen Tunnels, ich könnte direkt zwischendurch auch mal eine Sonnenbrille aufsetzen“, war ich sicher, dass ich es schaffen würde. Auch Professor Manfred Bründl verdanke ich viel. Nach dem Vordiplom gab er mir den Rat, meine eigene Musik zu machen und empfahl mir eine Platte mit Aufnahmen des Jazzpianisten Paul Bley. Das war die Initialzündung! Auf einmal hörte ich, dass es zwischen freiem und traditionellem Spiel keinen Bruch geben muss. Man kann alles zusammenbringen.

2019 war offenbar ein gutes Jahr für Dich. Im Februar erschien Deine CD „Dip and Grip“, die Du mit Deinem Quartett eingespielt hast. Es folgten mehrere Auftritte, auch mit anderen Ensembles. Bist Du inzwischen in Kassel angekommen?

Ja, sieht so aus. Ich bin 2017 von Eschwege nach Kassel gezogen, um näher dran zu sein. Ich hatte aber schon während des Studiums Kontakte zur Kasseler Jazzszene. Ich nahm an Jamsessions teil und führte im Schlachthof „Music for the Cat“, mein erstes selbst geschriebenes Programm, auf. Das Sven Krug Quartett mit Kasseler Musikerinnen und Musikern gibt es seit 2013. In der aktuellen Besetzung trete ich mit Ursel Schlicht, Werner Kiefer und Bene Schuba auf.

Dieses Quartett hast Du mit Urban Beyer und Detlef Landeck zur Aufführung der Jazzsuiten zu einem Sextett erweitert. Werden wir mehr von diesem Ensemble zu hören bekommen?

Ich arbeite gerade an einer neuen Suite – aller guten Dinge sind drei. So viel sei schon verraten: Es wird um die Beat-Generation gehen.

Mögen sich viele Türen für Dich öffnen, Sven.

Kurzbiografie

Sven Krug spielte als Jugendlicher Gitarre in einer Rockband, studierte Kontrabass an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, machte 2010 sein Diplom im Studiengang Jazz, arbeitet seitdem als freier Musiker und Komponist, lebt seit 2017 in Kassel und gibt Unterricht für Kontrabass, Gitarre und Ukulele. Seine Kompositionen führt er mit eigenen Bands auf, zuletzt mit dem 2013 gegründeten Sven Krug Quartett, mit dem er 2019 die CD „Dip and Grip“ einspielte. Er ist an Projekten im Bereich der Neuen Improvisationsmusik beteiligt und spielt in mehreren Ensembles, u.a. mit dem Trio Unterholz.

Mehr unter: www.sven-krug.de

Stand: August 2021; Foto: Sascha Willms