Werner Kiefer

„Wenn ich spiele, kann ich alles andere vergessen.“

Ob als Live-Jazzer oder als Instrumentallehrer, Werner Kiefer ist stets mit Spaß und Leidenschaft dabei. Das überträgt sich auch auf sein Publikum und seine Schülerinnen und Schüler.

Du spielst seit über vierzig Jahren Saxofon. Wie gelingt es Dir, neugierig zu bleiben, die Finger flink zu halten und Deine Zuhörer stets neu zu begeistern?

Ich übe! Und ich glaube, dass ich jetzt erst weiß, wie ich üben sollte, aber das ist vielleicht auch noch nicht das Richtige. Ich nehme mir im Moment Etüden aus dem Bereich der modernen Klassik vor, z. B. von Guy Lacour, einem Komponisten und Tenorsaxofonisten, oder von Eugène Bozza, der richtig schwere Sachen speziell für Holzbläser geschrieben hat. Das übe ich Tag für Tag, ich nenne es minutiöse Kenntnisnahme eines Notentextes. Dadurch öffnen sich Türen und die Finger finden neue Wege, hat mit Jazz erst einmal gar nichts zu tun, gibt mir aber ganz neue Spielmöglichkeiten. Im Pflichtprogramm sind auch immer wieder Skalen, Akkorde und Patterns, ohne die geht nichts im Jazz.

Hast Du eine Faustregel für das Üben?

Man übe täglich, gründlich, systematisch, mit Metronom und arbeite sich durch schwierige Notentexte. Mindestens zwei Drittel der Zeit sollte man auf stures Üben verwenden, erst danach kommen Jazzstandards oder Improvisationen an die Reihe.

Auf der Bühne sieht es so aus, als würde Dich die pure Lust am Spiel antreiben, und Deine humorvolle, mit viel Wortwitz gespickte Moderation bringt das Publikum regelmäßig zum Lachen.

Der Eindruck stimmt. Aber die Lust am Spiel bei Auftritten hat sich erst allmählich eingestellt, das war nicht von Anfang an so. Wenn ich jetzt spiele, kann ich tatsächlich alles andere vergessen, und zur Moderation fällt mir meist spontan etwas ein, was andere lustig finden. Kann sein, dass ich das von meinem Großvater, einem gelernten Zuckerbäcker und Feuerwehrmann, der nebenbei als Freizeit-Comedian auftrat, geerbt habe.

Du spielst neben Tenorsaxofon und Klarinette noch einige andere Instrumente, trittst mit ganz verschiedenen Musikern auf und bewegst Dich scheinbar zwanglos zwischen Oldtime und Avantgarde Jazz.

Ach, die Abgrenzungen zwischen „Jazzlagern“ und die Vorurteile auf beiden Seiten finde ich fürchterlich. Ich spiele nach wie vor gerne Oldtime Jazz, weil wir damit regelmäßig Begeisterung auslösen. Man steht auf der Straße ohne Noten, fängt an zu spielen und plötzlich entsteht eine ungeheure Energie, ein Rhythmus, der mitreißt, und die Leute fangen an zu tanzen. Oldtime oder New Orleans Jazz gibt es auf höchstem Niveau und man kann ihn auch mit anderen Jazzstilen in Verbindung bringen. Bei der monatlichen French Quarter Jam Session im Theaterstübchen bemühen Urban Beyer, Heiko Eulen und ich uns jedenfalls, diese Musik im besten Sinn zu pflegen.

Das gelingt euch offenbar sehr gut, denn die Session ist überaus erfolgreich.

Ja, wir sind selbst überrascht, wie gut es läuft.

Woher kommt Deine Begeisterung für Jazz?

Man hat mir erzählt, dass ich als Kind mit wachsender Begeisterung einem Drehaschenbecher – so etwas stand in den fünfziger Jahren auf jedem Wohnzimmertisch – einen Swingrhythmus entlockte; mit vierzehn Jahren spielte ich Gitarre nach Gehör. Aber das war’s nicht. Per Zufall stieß ich auf das Musikalbum „The Atlantic Years“ von John Coltrane und das hat mich schier umgeworfen, nachdem ich vorher hauptsächlich Rockmusik gehört und gespielt hatte. Von Stund an wollte ich Saxofon lernen, und zwar von der Pike auf. Ein weiteres nachhaltiges Erlebnis hatte ich bei einem Konzert der Band „Chromatic Alarm“, die im Apex in Göttingen auftrat, damals mit Jürgen Bock, Joe Bonica, Ekkehard Jost und Werner Lüdi, Free Jazzer reinsten Wassers, bei denen die freie Improvisation zum körperlich-sinnlichen Erlebnis wurde. Von Werner Lüdis archaisch-bluesigem Spiel ging eine ungeheure Kraft aus. Das war keine kopflastige Angelegenheit, sondern ging durch Mark und Bein.

Du warst offenbar begabt und empfänglich für die Faszination dieser Musik. Was hat Dich ermutigt, Jazzmusiker zu werden, denn bis dahin war es sicher noch ein weiter Weg?

Tatsächlich hatte ich einige Jahre später als Mitglied der GHK-Bigband ein Schlüsselerlebnis: Wir waren unterwegs auf einer Konzertreise in die USA, waren gerade in Chicago angekommen und wollten an diesem Abend unbedingt noch etwas erleben. Wir zogen mit unseren Instrumenten in den Jazzclub „Green Mill“, wo es ab 22 Uhr eine Session gab. Einige von uns stiegen gleich ein, ich ging später auf die Bühne, fing an zu spielen und hörte nicht mehr auf. Ich hatte das Gefühl zu fliegen! Ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich gespielt habe, aber als ich aufhörte, sah ich, dass ich mit fünf jungen schwarzen Musikern alleine auf der Bühne stand, die Besetzung hatte gewechselt, ich hatte es gar nicht bemerkt, denn ich erlebte zum ersten Mal die ungeheure Intensität dieser Musik, wurde dank dieser unglaublich guten Musiker Teil eines Ensembles, das zu einem Organismus verschmilzt. Ich habe nicht gewusst, dass das möglich ist. Es gab noch andere Begebenheiten, die mich beeinflusst haben, aber in Chicago habe ich ins Paradies hineinschnuppern dürfen und das wirkte noch lange Zeit nach.

Welche Musiker bzw. Bands haben Dich auf Deinem Weg geprägt?

Das könnte jetzt eine lange Geschichte werden. Ich nenne mal nur diejenigen, die herausragen. Die erste Band „Luna Park“ habe ich mit Heiko Eulen, Ulli Götte und Jörg Müller-Fest gegründet, um Geld zu verdienen. Wir durften dann auch bald auftreten, z. B. einmal auf einer Tanzveranstaltung in einer Metzgerei mit angrenzendem Saal in Breuna. Nach zehn Stücken war unser Vorrat an Tanzmusik allerdings erschöpft und wir spielten Jazzstandards. Das kam gar nicht gut an und wir mussten unsere Instrumente relativ schnell wieder einpacken. Unser Geld haben wir aber bekommen. Danach kam Urban Beyer zu uns und wir haben unser Repertoire in Richtung Modern Jazz und Fusion ausgebaut. Später gründeten wir den Ableger „Luna World“. Damit ging es in Richtung Weltmusik, die mich bis heute begeistert. Das ist auf eine Begegnung mit Anouar Brahem, einem tunesischen Komponisten und Oudspieler, zurückzuführen. Ich war so fasziniert vom Klang dieser arabischen Laute in Kombination mit Trommel und Klarinette, dass ich mich anschließend verstärkt der Klarinette zuwandte. Im Jazzensemble der GHK habe ich Jazzstandards gelernt und die GHK-Bigband war die Kaderschmiede für Kasseler Jazzmusiker. Mit dem Sextett „Mörfiye“ in der damals ungewöhnlichen Doppelbesetzung mit zwei Posaunen und zwei Saxofonen bin ich in den gemäßigten Avantgardebereich vorgedrungen. Da herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung in Richtung freitonale Improvisation; wir spielten mit hochkarätigen Gastmusikern wie Reiner Winterschladen, Dirk Raulff oder Matthias Schubert – eine tolle Erfahrung. Unvergesslich bleiben das „Interquintett“ mit Heiko Eulen und drei russischen Musikern, „Die Römer“ mit Heiko Eulen, Roman Beilharz und René Beigang und das „Hans Tammen/Ulli Götte-Quintett“. Mit allen Bands verbinden mich sehr intensive Erlebnisse und dabei habe ich viel gelernt. Es gibt noch einige andere Musiker, die ich als „meine Helden“ bezeichnen würde und immer wieder höre: Frank Zappa und Hermeto Pascoal; auch Matthias Schubert, der jetzt wieder in Kassel ist, ist für mich eine stetige Quelle der Freude und Inspiration. Und ich höre mit Begeisterung die Klavierwerke von Johann Sebastian Bach.

Mit welchen Bands bist Du aktuell unterwegs?

Die „Trez Amigos“ mit Urban Beyer und Heiko Eulen spielen vorwiegend Mainstream Jazz und Bossas. Der „WIP-Bereich“, ein Quartett mit Detlef Landeck, Roland HH Biswurm und Philip Wipfler, steht für modernen, avantgardistischen Jazz. Im „Sven-Krug-Quartett“ spielen wir die wunderbaren Kompositionen von Sven Krug und die „Blue Heaven Jazzmen“ widmen sich den Swing-Klassikern im Bigbandsound. Ja, und wie gesagt, Oldtime Jazz. Ich bin seit etwa zehn Jahren einer der „Papa Belas Dixie Kings“ und mit meiner Buddy Band „NeoOrleo“ lassen wir den Oldtime Jazz immer wieder neu aufleben.

Außerhalb von Proben und Auftritten widmest Du Deinen Musikschülerinnen und -schülern einen Großteil Deiner Zeit und warst als Talentfinder schon mehrere Male erfolgreich. Woran erkennt man ein Talent?

Ich verlasse mich dabei ganz auf meine Intuition. Ich hatte schon viele begabte Schüler. Bei einigen ist es mir gelungen, zur richtigen Zeit die Weichen zu stellen, sie zu fordern, d. h. ihnen die Gelegenheit zu geben, zu wachsen. Das kann man machen, indem man sie z. B. an Proben mit fortgeschrittenen Musikern teilnehmen lässt oder sie mit auf die Bühne nimmt, wenn es so weit ist.

Wir kennen jemanden, bei dem das gezündet hat und den wir um ein Statement über Dich, seinen ersten Saxofonlehrer, gebeten haben. Christian Weidner* sagte uns Folgendes: „Werner Kiefer hat mir Ohren, Geist und Herz geöffnet für den Jazz und seine Vielfalt und mich inspiriert und ermutigt, meinen Weg zu gehen. Irgendwann – da war ich 15 glaube ich – hat er mich zum ersten Mal in einen richtigen Jazzclub im Quintett mit auf die Bühne genommen. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich! Welch ein großes Glück für mich, diesem wunderbaren Menschen so jung schon begegnet zu sein.“

Oh, das macht mich jetzt sprachlos, obwohl mir das wahrscheinlich keiner abnimmt!
Danke, Christian.

Hoffentlich findest Du noch viele solcher Talente!


*Christian Weidner, Jazz-Saxofonist und Komponist, Professor für Saxofon an der Musikhochschule Stuttgart

Kurzbiografie

Werner Kiefer macht seit seinem 14. Lebensjahr Musik, spielt zunächst Gitarre, dann Tenorsaxofon als Hauptinstrument, später auch Klarinette und einige andere Instrumente, studierte mehrere Semester Musik und Germanistik an der Gesamthochschule Kassel, Mitglied im GHK-Jazzensemble und in der GHK-Bigband, gründet seit der Studentenzeit eigene Bands, spielt in vielen verschiedenen Ensembles von Oldtime bis Avantgarde Jazz; Instrumentallehrer an der Musikschule Schwalm-Eder.

Stand: September 2019; Foto: privat