Portrait Ulli Orth – „Das Saxophon lag auf dem Schrank…“

„Wenn ich nicht Saxophon gelernt hätte, wäre aus mir nichts geworden“, sagt der 1964 geborene Jazzmusiker Ulli Orth im Gespräch. Zehn Jahre war er Leadsaxophonist bei Roger Cicero. Ulli Orth lebt bei Hannover und seit 2015 auch zeitweilig wieder in der Region Kassel, in der er aufwuchs und musikalisch sozialisiert wurde.

Mit zehn Jahren spielte er noch Blockflöte, hörte Mozart und Haydns „Kindersinfonie“, aber auch Platten, die sein acht Jahre älterer Bruder auflegte, wie die Rockband „Deep Purple“…und dann Fletcher Henderson. Henderson (1897-1952) war der erste Jazzmusiker, der eine Bigband(BB) gründete, in der Gäste wie Louis Armstrong spielten und der den Beginn der Swing Ära markierte. –Fortan suchte der Junge Ulli nach dieser Art Musik.

„Plattenspieler“…

hieß die Radiosendung, Montag abends präsentiert von Martin Hecht (AFN/HR). „Da saß ich dann mit Kassettenrekorder und Überspielkabel. Es war eine Wunschsendung, und manchmal habe ich auch angerufen.“ BB-Musik von Leadern wie dem Klarinettisten Woody Herman oder dem Pianisten Duke Ellington gab es auch von 22:45-23:15h bei „live bewegen“. „Ich musste lange aufbleiben, im Nachthemd, um das anhören zu dürfen…Aber meine Schule war ja nicht sehr erfolgreich.“

Seine physische Begegnung mit dem Saxophon war dann ganz naheliegend: „Es lag zuhause auf dem Schrank“, sein Bruder, der zum Studium weggezogen war, habe es dort „liegenlassen“. Der US-Amerikaner Mel Phillips wohnte damals in Kassel und wurde sein erster Lehrer. Ulli spielte bald in der BB „Jazz oder Nie“, die als Schulband in Grebenstein begann. Die „MOG“ lud hier, in die alte Turnhalle, berühmte Jazzmusiker ein – wie den Schlagzeuger Elvin Jones oder den Trompeter Hannibal Marvin Peterson – und die Schüler-BB durfte schonmal als Vorgruppe spielen.

Orth machte eine Buchhändlerlehre und später Zivildienst. Während dieser Zeit avancierte er zu einem jungen Shooting-Star am Altsax in der Kasseler Szene. Ulli spielte als Jüngster im GhK-Jazzensemble klassischen Modern Jazz, Jazzrock im MBS-Quartett um den Gitarristen Harald Wehnhardt und in der Band „Supermix“ gemeinsam mit seinem Lehrer Rolf Rasch, war Gast bei „The Trio“ von Berthold Mayrhofer, Enno Dugnus und Heinrich Köbberling. 1985 ging er dann zum Jazzstudium nach Hannover.

Ulli Orth hat musikalisch viel gemacht und auch bewegt, obwohl er sagt: „Ich richte mich nicht mehr nach dem Erfolg,… – dann gehe ich lieber Fahrrad fahren… oder schwimmen.“ Gefragt als Solist und Leadaltist in BBs spielt er auch Flöte, Klarinette und Tenorsax; ist mehrfacher Preisträger des Jazzpodiums Niedersachsen und erhielt ein Künstlerjahresstipendium des Landes. An seiner halben Musikschulstelle hat er immer festgehalten, nicht nur aus Sicherheitsgründen. Es macht ihm Freude, manchmal mehr als ein Lehrauftrag, (den er auch schon hatte), den er als „Infotainment für Studenten…“ bezeichnet. Für „JazzArt Niedersachsen“, deren Anliegen ist, eine breite Hörerschaft über das Jazzpublikum hinaus anzusprechen, initiiert er und komponiert für Projekte wie „Jazz goes Church Music“ oder „… Chamber Music“. Neben BB-Musik schrieb Orth auch ein Konzert für Saxophon und Orchester und bearbeitete schon in den 90er Jahren Musik des Renaissance/Barock Komponisten Praetorius für seine damalige Band „Quintessence“ (1994 – 2002).  Heute arbeiten viele, vor allem europäische Jazzmusiker mit Crossover-, Motti- oder Projektkonzepten.

„Ich glaube ja sowieso, dass die Geschichte des Jazz abgeschlossen ist.“ Das Swing-Feeling und die Phrasierung sei vor allem vom Jazz der 60er Jahre geprägt. Wie in der Klassik könne man nun, durch die Interpretation – die ja je nach Ansicht der jeweiligen Zeit unterschiedlich war, (heute ist die historische Aufführungspraxis beliebt) – Feinheiten durch Klang und Tempi herausarbeiten. Im Jazz bleibt dazu noch die Improvisation.

„Ulli Orth’s Quintessence Music“…

wird am 16.11.2018 beim Abschlusskonzert des Jazzfests im Schauspielhaus zu hören sein. „Die Musik hat eine Modernität, obwohl sie schon 20 Jahre alt ist, wie sie in Kassel noch nicht zu hören war“, verspricht er. Seine Quintessenz präsentiert Orth gemeinsam mit sieben ausgewählten Kasseler Musikern, auf die das Material zugeschnitten sei und deren musikalische Charaktere gefeatured werden sollen.

Quelle: (k) KulturMagazin (Nr. 243, September 2018), Susanne Herrmann