Kaderschmieden des Jazz in Nordhessen: GHK Big Band und mik

Aus Anlass des Auftritts der Bigband der Jacob-Grimm-Schule Kassel und der Bigband des Wilhelm-Filchner-Gymnasiums Wolfhagen beim Jazzfest schrieb ich in der Jazzpost September 2007:
„Ich möchte (…) die Auftritte der beiden Schüler-Bigbands auf dem Festival zum Anlass nehmen, um einmal auf einen interessanten Umstand im Zusammenhang mit Schuljazz im Allgemeinen und Schul-Bigbands im Besonderen in Kassel und Umgebung aufmerksam zu machen. Wenn man sich die Leiter der Schul(big)bands in den Landkreisen Werra-Meißner, Schwalm-Eder, Waldeck-Frankenberg, Göttingen und natürlich in Kassel ansieht, stellt man fest, dass fast alle der (…) Big Band der Gesamthochschule Kassel (GHK) angehörten, speziell in ihrer bedeutendsten Phase Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre unter Leitung von Bernhard Mergner. Die dort gepflegte Praxis scheint eine gute Schule für Schuljazzprojekte gewesen zu sein. Selbstverständlich waren auch Rainer Tigges und Peter Altwasser zu dieser Zeit dabei und sind sogar noch zusätzlich durch dieses Hochschulprojekt mitgeprägt, denn beide waren auch Mitglied von „Jazz oder Nie„, bekanntlich gegründet und lange Jahre geleitet von Werner Sostmann, seinerseits Ex-Mitglied der GHK Big Band. Freuen wir uns auf die Vorstellung ihrer Arbeit beim Jazzfest.“

In diesem Jahr feiern wir nun nicht nur das 30-jährige Jubiläum des Fördervereins Kasseler Jazzmusik (FKJ), sondern auch das des Musikzentrums im Kutscherhaus (mik), und wenn man sich diese beiden Institutionen genauer ansieht, wird der ‚interessante Umstand‘ noch interessanter, wurden doch beide stark durch Musiker der GHK Big Band geprägt. Schaut man sich die Gründungsmitglieder des FKJ Hans Tammen, Detlef Landeck, Friederike Bauer, Rolf Rasch sowie weitere Musiker an, die zwar nicht nominell Gründungsmitglieder, aber bei vielen Gesprächsrunden rund um die Gründung dabei waren (wie z.B. der Jazzpostillion): alle waren in der GHK Big Band. Ein Blick auf die Gründer des mik, z.B. Berthold Althoff, Hugo Scholz, Thomas Phleps (ebenfalls alle GHK Big Band Mitglieder), unterstreicht die Bedeutung dieser Band. Grund genug, dieses Ensemble einmal ausführlicher darzustellen und zu würdigen, zumal im Rahmen des mik-Jubiläums für den 7. Juni dieses Jahres die „Große mik-Jazznacht“ mit einem Workshop geplant war, zu der Bernhard Mergner, der vielleicht wichtigste Leiter der Band, gewonnen werden konnte. Leider muss diese Veranstaltung aus bekannten Gründen verschoben werden.

Die GHK Big Band entstand 1974, etwa drei Jahre nach Gründung der Gesamthochschule Kassel. Georg Rebscher hatte einen Ruf als Professor für Musikpädagogik nach Kassel bekommen. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass Rock und Jazz oder, wie er es nannte, „umgangsmäßiges Musizieren“ zum ersten Mal fester Bestandteil des Ausbildungsplans wurden. Von Anfang an strahlte das Konzept der Big Band mit seinem „Unterbau“, der Mixed Band, in der alle möglichen Instrumente und Fähigkeiten zugelassen waren, auf andere Einrichtungen aus. Das zeigte sich unter anderem bei einem einschlägigen Symposium in den späten 70er Jahren in München, bei dem Rebscher einen Vortrag mit dem bezeichnenden Titel „Von der Schlauchband zur Bigband“ hielt.
In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens wurde die GHK Big Band zwar formal von Prof. Rebscher geleitet, er war aber mehr für die theoretische und organisatorische Arbeit sowie für die Repräsentation zuständig. Die praktische Leitung lag u.a. bei dem Orchesterwart Johan van Sprang, von dem der Ausspruch „Ihr müsst schwingen wie die Negers!“ (damals nicht ganz so politisch unkorrekt wie heute) legendär wurde. Als ich 1979 nach Kassel kam, wurde die Band de facto von Helmut Schäfer (damals schon Musiklehrer) und Rolf Rasch (noch Student, aber auch Jazzmusiker in der Szene) geleitet. Ab Herbst 1979 folgten die professionellen Jazzer Axel Prassuhn (bis 1981) und Lothar Krist (bis 1984). Nach einem Interimsjahr, in dem Rolf Rasch und ich die Leitung hatten, begann dann die Ära Bernhard Mergner.
In einem Pressetext anlässlich des15-jährigen Bestehens der Band heißt es: „Ausdruck der gesteigerten Qualität der musikalischen Darbietung ist es u.a., dass es vor einigen Jahren gelingen konnte, einen echten ‚Profi‘ für die Gesamtleitung der GHK Big Band zu verpflichten: Bernhard Mergner aus Oldenburg. Eine eindrucksvolle Vita verzeichnet klassische wie auch popularmusikalische Trompeten-Ausbildung, eine Vielzahl von Rundfunk- und Plattenaufnahmen sowohl im klassischen Bereich wie auch im Jazz, Preise verschiedener Wettbewerbe und Auftritte mit eindrucksvollen Namen aus der bundesdeutschen und internationalen Jazz-Szene. Durch jahrelange Erfahrung und Praxis als Lehrender für Ensembleleitung und Trompete an verschiedenen Hoch- und Musikschulen hat er es vermocht, das Niveau der GHK Big Band zu steigern. Nach übereinstimmender Kritik hat das Ensemble seit dieser Zeit ein erhebliches Maß an Professionalität gewinnen können.“
Die Liste der Auftritte ist lang: eigene Konzerte, Festivals, Jazzclubs, Stadtfeste und als Höhepunkte die viel beachteten Tourneen in die USA und die Sowjetunion bzw. Russland. Dazu kamen Auftritte mit international gefeierten Gastsolisten wie dem Trompeter und Flügelhornisten Ack van Rooyen und dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter.

Die GHK Big Band war ein Sammelbecken von guten Jazzmusikern innerhalb und außerhalb der Hochschule, die hier Erfahrungen sammeln, sich weiterentwickeln, untereinander austauschen und inspirieren konnten. Kein Zufall also, dass sich aus ihr heraus weitere Projekte bildeten. Neben den schon erwähnten möchte ich hier noch die Blues Big Band nennen, die es zu nationalem und internationalem Renommee gebracht hat. Auch hier gab es große personelle Überschneidungen: Hugo Scholz, Thomas Phleps, Berthold Althoff, Jürgen Sprenger, Detlef Landeck und ja, auch ich war dabei, um nur einige zu nennen. Alles in allem kann gesagt werden, dass die nordhessische Jazzszene – und vielleicht nicht nur sie – in ihrer Entwicklung von den 90er Jahren bis heute ohne die GHK Big Band kaum vorstellbar ist.

(Albrecht Schmücker in der Jazzpost Mai 2020)