100 Jahre Jazzschallplatte

Heute kein Nachruf, sondern eine Würdigung zu einem runden Geburtstag, nicht einer Jazzgröße, sondern eines für die Jazzentwicklung sehr wichtigen Mediums. Es geht um die erste Jazzschallplatte. Ich zitiere im Folgenden aus dem äußerst interessanten Artikel von Stefan Hentz auf Seite 17 der ‚Zeit‘ vom 23. Februar 2017, auf den mich Vereinsmitglied Peter Buntrock aufmerksam gemacht hat.

„Die Victor Talking Machine Corporation (…) hat in der 38. Straße eine Aufnahmestudio eingerichtet, einen Raum mit einem Klavier sowie einem metergroßen Metalltrichter, durch den die Schwingungen von Tönen umgesetzt wird in die Bewegung einer Nadel, die Muster in eine gleichmäßig rotierende Wachsplatte ritzt. Die Musiker: Trompete, Klarinette und Posaune, Schlagzeug, einer setzt sich ans Klavier. Gemeinsam sind sie die Original Dixieland Jass Band (ODJB).
Sorgfältig probieren sie aus, wie sie sich im Raum verteilen müssen, damit in dem, was die Nadel ins Wachs ritzt, hinterher alle gut zu hören sind. Die Technik der Tonaufnahme ist damals noch lange nicht erwachsen. (…) Nachbearbeiten, löschen oder einzelne Spuren oder Stellen überspielen (…) kann man noch nicht. Jedes Störgeräusch, jedes Klappern oder Quietschen, Husten oder Räuspern zerstört das entstehende Ganze. Also müssen die Musiker ihre Stücke immer wieder spielen, solange, bis es schließlich von jedem eine blitzsaubere Aufnahme gibt. Zwei Stück werden an diesem 26. Februar aufgenommen, der Livery Stable Blues (…), danach der Original Dixieland Jass Band One Step.“

Damit kann die ODJB für sich beanspruchen, nicht nur die erste Jazzschallplatte aufgenommen zu haben, sondern auch „den Jazz als ein neues, sich von Ragtime und Blues abhebendes Genre“ etabliert zu haben.

„Das neue Medium Schallplatte katapultierte (…) die Musik ins industrielle Zeitalter. Sie machte es möglich, Musik vom Moment der Aufführung zu lösen und jederzeit über sie zu verfügen.(…) Damit waren schon in der Geburtsstunde des Jazz zwei Konfliktlinien vorgegeben, die bis heute die Debatte durchziehen. Zum einen die Frage, inwieweit der medial vermittelte, aus seinem Entstehungszusammenhang herausgerissene Jazz überhaupt Authentizität beanspruchen kann (…) Zum anderen ist die ODJB ein frühes Beispiel dafür, wie weiße Musiker Entwicklungen, die maßgeblich von afrikanischen Musikern vorangetrieben worden sind, immer wieder erfolgreich zu Markte getragen haben und anstelle der eigentlichen Schöpfer dieser Musik ins Rampenlicht getreten sind. Andererseits belegt die Einmütigkeit, mit der einige Jahre später Louis Armstrong und Bix Beiderbecke, ein dunkelhäutiger und ein weißer Trompeten-Star des Genres, ihre Wertschätzung für die Musik der Original Dixieland Jazz-Band und ihres Klarinettisten Larry Shields bekennen, dass die Hautfarbe in der Gründerphase des Jazz weit weniger entscheidend war, als es später manch einer glaubte. Bis heute kann der Jazz darauf bauen“.