Jatzek wirft Papierkügelchen

Just zur langen Jazznacht ist Jatzek mal wieder aufgetaucht. Er war tatsächlich eigens angereist, um sich mal wieder die hiesigen Musiker anzuhören. Wir kennen ja sein wohlwollendes aber durchaus distanziert kritisches Verhältnis zur Kasseler Jazzszene. Er hört dann auch sehr interessiert und aufmerksam zu und äußert sich hin und wieder – mit Recht, wie ich finde – sehr lobend über die eine oder andere Gruppe und über die Bandbreite der Stile insgesamt.

Aber dann fängt er plötzlich an, Papierkügelchen zu werfen und schaut mich herausfordernd an. Auf meine Fragezeichen im Gesicht zieht er einen Zettel aus der Tasche und hält ihn mir unter die Nase. Ich lese *21. Oktober 1917. Okay, das war heute vor 100 Jahren. „Du schreibst doch in deiner Postille gerne zu runden Geburtstagen, da ist das hier ein absolutes Muss“, und warf lässig ein weiteres Kügelchen in Richtung Bühne.

Wird das jetzt ein Quiz?“ frage ich. „Nun ja, warum nicht, du könntest es ja mal an deine Leser weitergeben. Ich gebe hier noch einen Hinweis: 1964 stellte er sich als unabhängiger Kandidat zur US Präsidentenwahl, das Weiße Haus sollte ‚Blues House‘ werden und Duke Ellington, Miles Davis oder Ray Charles sollten Ministerposten bekommen. Sänger Jon Hendricks dichtete auf eins seiner bekannten Stücke ‚wählt ….., wählt …..! Holt euch einen guten Präsidenten, der bereit ist zu swingen, wählt ….., wählt!‘  Zwar scheiterte die nicht ganz ernst gemeinte Kampagne, aber sie machte auf die Anliegen der afroamerikanischen Bevölkerung aufmerksam. „Und“, fügte Jatzek hinzu, „ein besserer Präsident als der aktuelle wäre er allemal geworden.“

Langsam dämmerte es mir. „Es gibt ja sogenannte ‚wichtigste‘ Jazzplatten“ sage ich, „wie Louis Armstrongs Hot Five oder Miles Davis‘ Kind Of Blue. Von ihm gibt’s doch auch so eine… und war er nicht auch ein großer Boxfan?“ Jatzek grinste und und zog einen weiteren Zettel, diesmal um einiges größer, aus der Tasche. Ich las: „Vor diesem Konzert ist er etwas unkonzentriert, aber die Vorzeichen sind auch ziemlich schlecht: Charlie Parker musste sich ein Plastiksaxophon leihen, und Pianist Bud Powell, gerade aus dem Krankenhaus entlassen, hatte vor dem Konzert schon einiges getrunken. Bassist Charles Mingus und Max Roach sind genervt, weil kaum Zuschauer da sind. Kein Wunder, fand doch am selben Abend der Weltmeisterschafts-Boxkampf statt, von dem er als Boxfan auch noch ständig wissen will, wie es steht. Dabei sollte es das Konzert des Jahres werden. Die herausragenden Jazzmusiker des Jahres 1953 treffen am 15. Mai in der Massey Hall in Toronto aufeinander. Das Livealbum dieses Konzertes „Jazz at Massey Hall“ zählt heute zu den legendären Aufnahmen des Jazz. Parker und er schwebten virtuos über den Stücken, Powell ist trotz Vollrausch in Höchstform. Roach und Mingus swingen gewaltig. Und: Der Boxkampf endete nach knapp zweieinhalb Minuten. Rocky Marciano hatte Jersey Joe Walcott k.o. geschlagen.

Endlich fiel mir auch ein, was das mit den Papierkügelchen auf sich hatte: Seine Karriere hatte eigentlich damit erst richtig begonnen, als er seinerzeit aus Cab Calloways Band geflogen war, weil er den Sänger und Bandleader während des Konzertes mit… Papierkügelchen beworfen hatte.

Der Jazzpublizist Hans-Jürgen Schaal schrieb vor einigen Jahren: „Der Musiker (Dizzy) Gillespie wird heute in mehrfach Hinsicht gewürdigt: „Als Klangvisionär“, der auf der Trompete zudem „eine gänzlich individuelle Virtuosität entwickelte, als Komponist, Arrangeur und Bandleader, als Sänger mit unvergleichlichen Bebop-Vocals und als Inszenator einer hochexplosiven Mixtur aus Jazz und afrokubanischer Musik.“