Warum hört kein Mensch Jazzmusik?

Stellt Euch vor, es ist Jazzfestival und alle gehen hin. Oder doch zumindest viele und aus allen Altersgruppen. Böse Zungen behaupten ja, es gehen überhaupt nur Menschen über 50 zu Jazzkonzerten. Selbst eine seriöse Untersuchung über das Jazzpublikum (Hans Neuhoff 2001), die allerdings und zum Glück schon ein paar Jahre alt ist, behauptet eine signifikant nachhaltige Überalterung besonders des Jazzpublikums, auch im Vergleich zu anderen Musikrichtungen.“

Mit diesen Worten begann ich vor ziemlich genau acht Jahren die Jazzpost zu unserem Festival. Mittlerweile ist die Untersuchung noch mehr veraltet und schon damals gab es Veröffentlichungen, die gegenläufige Tendenzen ausmachten. So stellte der Darmstädter Jazzbrief von 2006 „einen Trend der allgemeinen Verjüngung des Publikums von Jazzfestivals fest, die vielleicht auch damit zusammenhängt, dass die Programmmacher der großen Festivals erkannt haben, dass eine Öffnung des Jazz zu vermeintlich popmusikalisch geprägten Acts ihrem Programm und der Publikumsresonanz darauf gut tut (mehr Gesang, mehr electronic, mehr Entertainment)“.

Jetzt habe ich mich auf die Suche nach neueren Analysen des Jazzpublikums gemacht und bin leider nicht so richtig fündig geworden. Allerdings hat ein kontroverser Chat, der sich auf die wohl provozierend gemeinte Frage von stern.deWarum hört kein Mensch Jazzmusik?“ bezog, dann doch meine Aufmerksamkeit erregt. Er ist zwar auch schon ein paar Jahre alt und kaum repräsentativ, aber so aufschlussreich und nicht zuletzt auch amüsant, dass ich ihn hier in gekürzter Form (aber mit den Original-Schreibfehlern) wiedergebe, auch deswegen, weil sich vieles mit meinen – freilich ebenso wenig repräsentativen – Beobachtungen deckt.

  • Dank Norah Jones und Co. konnte doch wieder ein jüngeres Publikum gewonnen werden. Aber Jazz ist nun mal kein Ohren-Fast-Food mit dem man überall beschallt wird. Man muss sich auf diese Musik einlassen und das machen doch eher lebenserfahrenere Personen. Wobei ich sagen muss, der Karlsruher Jazzclub wird auch von unter besucht…
  • Ist das so? Ich habe ganz und gar nicht diesen Eindruck. Aber sicher ist, dass Jazz (wie eigentlich immer schon) nicht gerade die breite Masse anspricht. Aber auch das ist nicht unbedingt ein Zeichen fürs Aussterben. Allerdings wird der Jazz auch gern weiterentwickelt und mit anderen Stilrichtungen gemischt. Den Uralt-Jazz wie den von Charlie Parker einst hört man ja dann auch mal aber besonders frisch und innovativ ist er halt nicht mehr. Der Mainstream mag jedenfalls Musik von Til Brönner (oder wie der heisst). Kann man auch dem Jazz zuordnen.
  • Geschmackssache. Schauen Sie mal bei Arte in die Musikprogramme rein, da ist der Jazz eigentlich recht jung und aktiv.
  • Ich verstehe die Frage nicht. Wenn wir mal zu einer Jazz-Veranstaltung gehen, gibt es dort genügend junge Leute. Vielleicht solltest du mal das Lokal wechseln. Übrigens: Wer mal in Berlin ist, sollte „Die kleine Weltlaterne“ besuchen. Das ist die schönste Jazzkneipe, die ich kenne. Dort spielten noch 3 weitere Jazz-Bands und es war viel „Jungvolk“ da!
  • Man muss auch nicht für alles eine Studie haben, oft reicht es einfach die Augen aufzumachen. Bei uns in Hessen gibt es zum Beispiel ein Landesjugendjazzorchester. Auch in Stockholm habe ich schon jugendliche Jazzbands gesehen (Stockholm Water Festival). Woanders gibt es das sicher auch. Da ist der Nachwuchs, bitte also nicht so pessimistisch sein.
  • Ich kenne viele Jazz-Musiker in Berlin, daher ist die Klage von wegen immer weniger und immer älteres Publikum aus erster Hand. Dass es schwieriger geworden ist, von Jazz zu leben, ist für die Szene evident. Allzu pessimistisch bin ich nicht, denn ich glaube an kulturelle Evolution – wobei es m.A. nach große Ungerechtigkeiten in der kulturellen Subventionspolitik gibt. Aber Musik soll sich entwickeln. Da ich in Berlin lebe, ist es kein Problem, drei mal in der Woche ein gutes Konzert zu sehen. Obwohl ich tatsächlich noch nie in der Weltlaterne war.
  • Nun ja, der Rockmusiker spielt seine 3 Akkorde vor 1000 Leuten, der Jazzer spielt seine 1000 Akkorde vor 3 Leuten 🙂
  • Für modern und Freejazz interessieren sich nur ganz wenige Leute. Viele Verantwortliche bei Rundfunk und Fernsehen halten sich für besonders cool, wenn sie nur noch Sendungen über Cooljazz bringen.
  • Dabei ist der traditionelle New Orleans Jazz nach wie vor sehr beliebt. Zum Dresdner Dixieland-Jazzfestival kommen jedes Jahr über 1 Million Menschen. Dieses dem traditionellen Jazz verschriebene Festival wurde schon früh in der DDR gegründet und hat Jahr für Jahr grossen Erfolg.
  • Die berühmten drei Maulhelden Jazz, Rock und Pop quälen die Menschheit von früh bis nonstop.
  • Pat Metheny hat es gesagt: Nur etwa 2% der Bevölkerung sind für derartig komplexe Musik aufgeschlossen, das scheint ein Naturgesetz zu sein! Bestätigt wird das durch die ewig dudelnden Radio-Gagas, diese Stationen mit dem Bestreben der Einschaltquotenmaximierung, welche einen „“Kult““-Hit nach dem anderen zu Besten geben. Für empfindliche Ohren manchmal nur schwer erträglich.
  • Jazz hören geht im Wesentlichen einher mit dem Kreativen Spielen eines Instruments. Dieses ist nicht so einfach, wenn über die Grundakkorde hinausgearbeitet wird. Die Pop-Musik, die mit wenigen Akkorden auskommt, ist omnipräsent. Dadurch ist das Gehör nicht mehr in der Lage, feine Akkordvariationen zu erfassen. Je weniger Menschen ein Instrument spielen, desto weniger verstehen sie also Jazz. Es spielen immer weniger ein Instrument. Jazz ist im Wesentlichen auch gehör- und kopfgeprägt (manchmal zu sehr) und verlangt eine musikalische Grundkompetenz. Ohne diese ist man quasi einem „abstrakten Gemälde“ ausgeliefert ohne etwas von Malerei zu verstehen. Der Snob-Effekt reduziert sich auch ganz schnell, denn nur um „hipp“ zu sein ist diese Musikrichtung – die der Klassik gleichkommt – zu anspruchsvoll.
  • Also ich habe am letzten Sonntag eine ganz andere Erfahrung gemacht. War ganz spontan in einem kleinen Hamburger Jazzclub und mit meinen 59 Lenzen der Greis. Der Rest des Publikums war unter 25!
  • Meine Meinung nach, Mode auf Jazz kommt wieder zurück. Ganz viele junge Leute suchen etwas originales und Jazz ist so. Ich habe letztens bei i-tunes meines Sohns eine neue Sängerin – Magda Bozyk gehört. Ist total geil und er hört die auch.

(Albrecht Schmücker in der Jazzpost November 2018)